Restorative Justice in der Ukraine: Die (fehlende) Aufarbeitung des Sowjetunrechts von 1991 bis heute
Die Ukraine war bis 1991 Bestandteil der Sowjetunion und mithin einer Diktatur. Zugleich wies die Herrschaft in den nichtrussischen Peripherien des Sowjetimperiums deutliche binnenkoloniale Züge auf. Nach dem Ende einer Diktatur und/oder einer Kolonialherrschaft kann eine Gesellschaft sich nur dann friedlich entwickeln, wenn sie zu einer inneren Versöhnung kommt. Voraussetzung hierfür ist, dass vergangenes Unrecht aufgearbeitet wird, auch mit rechtlichen Mitteln. „Offene Wunden“ aus der Vergangenheit behindern den gesellschaftlichen Frieden.
Die Ukraine hat – im Vergleich zu einigen anderen postsozialistischen Staaten – nach 1991 nur zurückhaltend versucht, das sowjetische Systemunrecht rechtlich anzugehen. Erst seit der russischen Aggression 2014 setzt sich der Staat verstärkt mit dem sowjetischen Systemunrecht auseinander, weil Russlands Propaganda die „offenen Wunden“ zur Spaltung der ukrainischen Gesellschaft nutzt. Die juristische Vergangenheits-„Bewältigung“ ist weiterhin defizitär, an einer rechtswissenschaftlichen Aufarbeitung des vorhandenen und des zukünftigen Rechts fehlt es in der ukrainischen Rechtswissenschaft vollkommen.
Hier setzt das Pilotprojekt „Restorative Justice“ in der Ukraine: Die (fehlende) Aufarbeitung des Sowjetunrechts von 1991 bis heute an: Deutsche und ukrainische Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler erstellen durch Auswertung der Gesetzblätter, von Entscheidungssammlungen und (v.a. ukrainischer) Fachliteratur eine Bestandsaufnahme der bestehenden Rechtsvorschriften und ihrer Anwendungspraxis, analysieren diese dogmatisch sowie rechts- und gesellschaftspolitisch und identifizieren die Schwächen und Lücken im ukrainischen Recht. Da es Derartiges auch in der Ukraine nicht einmal in Ansätzen gibt, betritt das Projekt juristisches Neuland. Die umfassende Bestandsaufnahme kann einer Nachkriegs-Ukraine als Ausgangspunkt dienen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die „offenen Wunden“ aus der Sowjetvergangenheit rechtlich anzugehen und so zu gesellschaftlicher Versöhnung und gesellschaftlichem Frieden beizutragen.
Die qualitative Zusammenstellung und Auswertung der ukrainischen Rechtsgrundlagen der „restorative justice“ erlauben es, Handlungsbedarfe und -optionen für den ukrainischen Gesetzgeber sowie für Akteure der ukrainischen Zivilgesellschaft aufzuzeigen, um schlechte Gesetzgebung auszubessern, fehlende Gesetze zu erlassen und gesellschaftliche Strukturen herauszubilden. Die Entwicklung dieser Handlungsoptionen aus der Bestandsaufnahme bildet den Gegenstand eines umfangreicheren Anschlussprojekts, an dem wiederum deutsche und ukrainische Beteiligte mitwirken.
Das Pilotprojekt ist auf ein Jahr angelegt. Sein Volumen beträgt 50.000,- Euro.
Einzelheiten zu dem Projekt finden Sie hier.