Die Ukraine auf dem Weg zur guten Verwaltung?

Auch 2012 führt das IOR in Zusammenarbeit mit dem Institut für Gesetzgebung der Verchovna Rada der Ukraine ein Projekt im Rahmen des Sonderprogramms des DAAD „Unterstützung der Demokratie in der Ukraine“ durch, das an das 2011 durchgeführte Projekt zum Thema „Rechtliche Aspekte der Korruptionsbekämpfung in der Ukraine, Deutschland und Polen“ anknüpft.

Die wissenschaftliche Leitung des Projekts obliegt Prof. Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Prof. Dr. Herbert Küpper, die Projektdurchführung der IOR-Länderreferentin für russisches und ukrainisches Recht, Antje Himmelreich.

Zielsetzung

Ziel des Projekts ist es, die Anforderungen an eine „gute Verwaltung“ sowie die Ausformung des subjektiven Rechts auf gute Verwaltung und dessen verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Ukraine zu analysieren und vor dem Hintergrund des Bestrebens der Ukraine, ihr nationales Recht an das europäische Gemeinschaftsrecht anzupassen, rechtsvergleichend mit dem deutschen und polnischen Recht zu betrachten. Dabei wird es nicht nur um das subjektive Abwehrrecht des Einzelnen gegen die Verwaltung, sondern auch um die Rolle der Verwaltung als dienstleistende Einrichtung (Stichwort: bürgernahe und freundliche Verwaltung) und damit um die Funktionen der Verwaltung als Teil der Rechtskultur gehen.

Das Projekt soll schließlich dem Informations- und Gedankenaustausch zwischen deutschen, ukrainischen und polnischen Rechtswissenschaftlern und Praktikern dienen und neue Kontakte vermitteln sowie bestehende partnerschaftliche Beziehungen ausbauen.

Begründung

Mit dem Thema der „guten Verwaltung“ greift das Projekt eine internationale Diskussion über ein altes Problem in einem neuen Gewand auf (Goerlich, DÖV 2006, 313). Das Recht auf eine gute Verwaltung wurde zunächst vor allem von der Rechtsprechung des EuGH entwickelt. Mittlerweile ist es in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäisdchen Union (EuGRCh) ausgeformt.

Zu den Elementen des Rechts auf gute Verwaltung, wie es in Art. 41 EuGRCh normiert ist, gehört nach dessen Abs. 1 das Recht einer Person, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb angemessener Frist behandelt werden. Davon umfasst sind nach Art. 41 Abs. 2 EuGRCh insbesondere das Recht auf Anhörung bei nachteiligen Verwaltungsentscheidugen, das Recht auf Aktenzugang sowie die Wahrung berechtigter Vertraulichkeitsinteressen und des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses und schließlich die Pflicht der Verwaltung zur Begründung ihrer Entscheidung. Nach Art. 41 Abs. 3 EuGRCh hat jede Person einen Anspruch auf Schadenersatz bei Pflichtverletzungen der Organe und Bediensteten der Europäischen Union nach allgemeinen Grundsätzen. Art. 41 Abs. 4 EuGRCh enthält schließlich das Recht, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten.

Die Ukraine hat erklärt, dass sie sich um die rechtliche Annäherung an die Europäische Union und die Vornahme nationaler demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen auf der Grundlage europäischer Werte und Standards, insbesondere im Bereich des Rechtsstaats und des Menschenrechtsschutzes, bemühen will. Eine wichtige Voraussetzung für die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union ist die Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine an den acquis communautaire der Europäischen Union, zu dem auch die einzelnen Komponenten des in Art. 41 EuGRCh normierten Rechts auf gute Verwaltung gehören.

Gerade im Rahmen der Anpassung an die Anforderungen einer „guten Verwaltung“ ist die Übernahme europarechtlicher Vorgaben und Standards nicht bloß eine technische Frage, sondern beinhaltet auch kulturelle Maßstäbe, die das Recht auf gute Verwaltung ausmachen. Dazu gehören solche Fragen wie die Richtigkeit und Schnelligkeit des Verfahrens, aber auch die Bürgernähe und Akzeptanz der Verwaltung und deren Wirtschaftlichkeit. In der Ukraine wie auch in anderen osteuropäischen Staaten steht „Europa“ als Chiffre für einen Idealzustand, den man für sich anstrebt und der in vorsozialistischer Zeit gegolten haben soll. Zu diesem Ideal gehören auch eine gute und korruptionsfreie öffentliche Verwaltung, die mit „Europa“ imaginiert werden. Die Anpassung an eine westliche Verwaltungskultur und die Zurückdrängung von Korruption bedeutet daher für viele Ukrainer auch eine Annäherung an die „europäische Wertegemeinschaft“ und hat somit jenseits des unmittelbaren Effekts auf die öffentliche Verwaltung auch eine kulturelle und eine moralische Dimension.

Auf der Ebene des nationalen Verfassungsrechts lassen sich vor allem aus dem Rechtsstaatsprinzip Vorgaben für das Verwaltungsverfahrensrecht herleiten. Einfachgesetzlich werden die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts, von denen das Recht auf gute Verwaltung abhängt, sowohl in Deutschland als auch in Polen durch allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetze konkretisiert. Polen hat wie auch andere osteuropäische Staaten der ersten und zweiten EU-Erweiterungsrunde sein Verwaltungsverfahrensgesetz und seine Verwaltungsgerichtsbarkeit novellieren müssen, damit seine Regelungen insoweit den europäischen Standards entsprechen.

In der Ukraine befindet sich ein rechtsstaatliches Verwaltungsrecht noch im Entstehen. Zwar wurde 2005 eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt und eine Verwaltungsgerichtsordnung verabschiedet. Derzeit fehlt jedoch noch ein Gesetz über das Verwaltungsverfahren. Ein solches Gesetz könnte ein weiterer Meilenstein für den Bau einer rechtsstaatlichen gesetzlichen Regelung der Ordnung der Verwaltung in der Ukraine bilden.

Durchführung

Fachtagung

Im Rahmen des Projekts findet am 10./11. Mai 2012 in Regensburg eine Fachtagung zum Thema „Europäische Wege zur guten Verwaltung“ statt.

Im Mittelpunkt der Tagung in Regensburg steht die Ausgestaltung des Rechts auf gute Verwaltung und dessen Kontrolle durch eine effektive Verwaltungsgerichtsbarkeit in den drei Projektländern.

In zwei Impulsreferaten werden die Rolle der Verwaltung analysiert und die Anforderungen an eine „gute Verwaltung“ vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der EU dargestellt.

Im ersten Panel wird die verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf gute Verwaltung in Deutschland, der Ukraine und Polen rechtsvergleichend analysiert. Das zweite Panel widmet sich der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Rechts auf gute Verwaltung.

Im dritten und vierten Panel werden einzelne Elemente des Rechts auf eine gute Verwaltung untersucht, darunter das Anhörungsrecht, das Akteneinsichtsrecht und der Begründungszwang. Gesondert wird das Informationsrecht behandelt. Hier geht es vor allem um Fragen des Zugangs zu Information (Informationsfreiheitsgesetz), die im Spannungsfeld zum Datenschutz, insbesondere dem Schutz personenbezogener Daten, zu betrachten sind. Fragen des Rechts auf Zugang zu Information spielen u.a. im Umweltrecht, aber auch im Finanzdienstleistungsbereich eine große Rolle.

Das fünfte und sechste Panel widmen sich der Kontrolle des Rechts auf gute Verwaltung durch eine effektive Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hier werden zunächst die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Verabschiedung einer Verwaltungsgerichtsordnung sowie die jüngste Justizreform in der Ukraine thematisiert. Im Anschluss daran werden einzelne Teilaspekte eines effektiven Verwaltungsrechtsschutzes diskutiert.

Tagungsort: Wissenschaftszentrum Ost- und Südosteuropa Regensburg, Landshuter Straße 4, 93047 Regensburg, Konferenzsaal (3. Stock)

Tagungssprachen sind Deutsch und Ukrainisch mit Simultanübersetzung.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei.

Aus organisatorischen Gründen wird um Anmeldung per E-Mail oder Fax bis 7. Mai 2012 gebeten.

Seminar

Im Oktober 2012 findet in Kiew ein Seminar zum Thema „Europäische Wege zur guten Verwaltung“ statt, das rechtsvergleichende Aspekte zum deutschen, ukrainischen und europäischen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht behandelt.

Die Seminarleitung obliegt von deutscher Seite Prof. Dr. Gerrit Manssen, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere deutsches und europäisches Verwaltungsrecht, Universität Regensburg.

An dem Seminar können Studierende ab dem 4. Semester und Doktoranden der Universität Regensburg teilnehmen. Arbeitssprachen sind Deutsch und Ukrainisch mit konsekutiver Übersetzung.

Reise- und Aufenthaltskosten können aus Projektmitteln des DAAD übernommen werden.

Veröffentlichung

Die Ergebnisse der Tagung und des Seminars werden in einem Sammelband in den „Studien des Instituts für Ostrecht“ beim Peter Lang Verlag veröffentlicht.